Projekt: „Anstoß für ein neues Leben“

18.02.2020
Markus Merk, JVA

Hinter Gittern passiert viel, das in Freiheit lebenden Menschen verborgen bleibt. Dass in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal gerade wieder zehn Häftlinge zu Schiedsrichtern ausgebildet wurden, wissen auch nur wenige. Am Dienstag wurden den Absolventen ihre Zertifikate überreicht. Auch der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Markus Merk war dabei.

Sie haben einen Stuhlkreis gebildet: zehn Gefängnisinsassen, eine Beamtin und der ehemalige Fifa-Schiri Markus Merk. „Ihr habt jetzt die Möglichkeit, Fragen zu stellen“, sagt Roland Schäfer, Schiedsrichterobmann des Fußballkreises Rhein-Pfalz, in die Runde. Die Gefangenen zögern, werfen sich Blicke zu. Deswegen ergreift Markus Merk selbst die Initiative und fängt an, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Über seine Kindheit, den 1. FC Kaiserslautern und das erste Spiel als Schiedsrichter vor großer Kulisse. Die Häftlinge hören aufmerksam zu. Die Zuschauer, unter ihnen einige Fußballfunktionäre, ebenfalls.

Möglichkeiten für Noch-Insassen

Die Schiedsrichterausbildung für die Gefängnisinsassen hat im November begonnen, erklärt Roland Schäfer im RHEINPFALZ-Gespräch. „In der Regel besteht das Ganze aus sechs bis acht Doppelstunden.“ Geprüft wurden die Teilnehmer Anfang Februar. Alle haben bestanden.

Möglich gemacht hat die Ausbildung das Projekt „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung. „Die sprichwörtliche Fußballfamilie in Deutschland ist riesengroß“, weiß Tobias Wrzesinski, Geschäftsführer der Stiftung. „Irgendwo ist da bestimmt ein Platz für euch“, motiviert er die Strafgefangenen. Wer in absehbarer Zeit noch nicht wieder in die Freiheit entlassen wird, hat in der Haftzeit zwei Möglichkeiten, ein Spiel zu pfeifen, erklärt Roland Schäfer: „Entweder der Betroffene kommt in den offenen Vollzug oder es tritt die Lockerung ein. Wenn dann jemand ein Spiel leiten möchte, kommt er auf mich zu und ich suche eine Partie aus.“ Es könne natürlich nicht jeder diese Ausbildung machen, merkt er an. Die Vollzugsanstalt müsse das genehmigen. Mit der Geschichte über einen Mann, der inzwischen wieder auf freiem Fuß ist und schon über 300 Spiele geleitet hat, möchte Schäfer den Häftlingen zusätzlichen Antrieb geben.

Ein Häftling mit viel Fachwissen

„Für uns war es ungewohnt, sich so auf etwas zu konzentrieren“, sagen zwei der frisch ausgebildeten Schiedsrichter. „Das war gut für den Kopf und eine Abwechslung zum Haftalltag.“ In der Gesprächsrunde mit Markus Merk tut sich besonders einer der Insassen hervor und brilliert mit seinem Fachwissen. Merk muss sich nicht nur zu der Situation um den 1. FCK äußern, sondern auch zu eigenen Schiedsrichterentscheidungen, etwa zu jenem indirekten Freistoß in der Fußball-Bundesliga im Jahr 2001, der den FC Bayern München in letzter Minute zum Deutschen Meister machte, obwohl Schalke 04 bereits am Feiern war. „Mit der Entscheidung konnte ich damals am besten leben“, antwortet Merk, der vor den Häftlingen immer wieder betont, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen.

Schon zum fünften Mal wurden im Gebiet der Schiedsrichtervereinigung Rhein-Pfalz Strafgefangene zu Referees ausgebildet. Die Zusammenarbeit mit Vereinen könne den Menschen später auch bei der Suche nach einer Wohnung oder einer Arbeitsstelle helfen, ist sich Jürgen Veth, Vizepräsident des Südwestdeutschen Fußballverbands, sicher. Gundi Bäßler, Leiterin der Haftanstalt, zeigt der Gruppe den Perspektivwechsel auf: „Ihr seid hier, weil ihr Regeln gebrochen habt, nun seid ihr dafür verantwortlich, dass Regeln eingehalten werden.“

Quelle: Von Philipp Jung

AusgabeDie Rheinpfalz Frankenthaler Zeitung - Nr. 37
DatumDonnerstag, den 13. Februar 2020