„Wir Schiedsrichter sind ein Teil des Sports“

07.05.2023
Jahr des Schiedsrichters

Schiri-Chef Thorsten Braun im Interview

 
Der Südwestdeutsche Fußballverband ist mal wieder ein Vorreiter gewesen. 2013 hatten die Südwestler das Jahr des Schiedsrichters ausgerufen. Exakt zehn Jahre später nimmt der Deutsche Fußball-Bund den Ball auf und hat ebenfalls den Fokus auf die Unparteiischen gerichtet. Zum Auftakt des Aktionsjahres sprachen wir mit dem Verbandsobmann Thorsten Braun. Der 39-jährige Lehrer aus Maikammer ist seit 2019 der Chef der SWFV-Schiedsrichter.

Herr Braun, warum benötigen die Schiedsrichter ein ihnen gewidmetes Jahr?

Aufgrund von zwei Aspekten. Zum einen haben wir ein Riesen-Nachwuchs-Problem und deshalb viel zu wenig Schiedsrichter. Zum anderen soll auf die negativen Begleiterscheinungen hingewiesen werden, die es für uns Schiedsrichter immer mal wieder zu ertragen gibt. Ich sehe aber noch einen anderen Punkt: Ich denke, wir sollten allen vermitteln, was es für ein tolles Hobby ist, Schiedsrichter zu sein.

Was sind die konkreten Ziele im Jahr des Schiedsrichters?

Natürlich Werbung zu machen für die Aufgabe des Schiedsrichters. Interessierten zu vermitteln, dass ihnen das Schiedsrichter-Amt sehr viel bringt, beispielsweise in der Persönlichkeitsentwicklung. Ein Schiedsrichter muss innerhalb weniger Sekunden Entscheidungen treffen und diese dann auch noch verteidigen. Das fördert ohne Frage die Persönlichkeit und hilft sicher auch im Beruf und im Privatleben weiter. Ich erhoffe mir von der Aktion aber auch, dass sich das Bild des Schiedsrichters in der Öffentlichkeit verbessert. Deshalb gefällt mir auch das Motto der Aktion sehr gut: Liebe den Sport, leite das Spiel. Das trifft es sehr gut, denn wir Schiedsrichter sind ein Teil des Sports, quasi die dritte Mannschaft. Alle wünschen sich Schiedsrichter, ohne die es ja auch gar nicht geht, und dann sollten wir auch wie Wunschlösungen behandelt werden.

Sind Sie froh, dass der DFB mit seiner Strahlkraft sich des Themas Schiedsrichter angenommen hat?

Natürlich. Wir hatten ja vor zehn Jahren eine ähnliche Aktion. Zumal es zeigt, dass die Probleme an der Basis, die zu wenigen Schiedsrichter und der teilweise konfliktreiche Umgang miteinander, erkannt wurden. Der DFB tut nun etwas für uns. Das gibt uns ein gutes Gefühl.

Sie haben die SWFV-Aktion angesprochen. Mit zehn Jahren Abstand: War das Jahr des Schiedsrichters damals ein Erfolg?

Ja, es hat auf jeden Fall etwas gebracht. Die Belange der Schiedsrichter waren damals sehr im Fokus der Öffentlichkeit, auch der Umgang untereinander, den wir damals ja sehr stark thematisiert hatten, hat sich nach meinem Eindruck verbessert.

Mal die Perspektive und Seite wechseln

Sie haben die sinkenden Schiedsrichterzahlen angesprochen. Welche zusätzliche Zahl an Schiedsrichtern bräuchten wir im Südwesten, um alle Partien problemlos besetzen zu können?

Das ist schwer einzuschätzen, weil ja nicht feststeht, wie viele Spiele ein neuer Schiedsrichter auch wirklich leitet. Deshalb wird die Anzahl der Spiele ja mittlerweile auch im Schiedsrichtersoll berechnet. Weil es einfach einen Unterschied macht, ob einer fünf, 50 oder 150 Spiele in der Saison leitet. Aber bitte nicht missverstehen: Jeder Schiedsrichter bringt uns weiter, auch der, der nur fünf Partien leitet. Unter dem Strich würde ich sagen, dass wir eine dreistellige Zahl an Schiedsrichtern zusätzlich benötigen.

Die Anzahl hängt sicherlich auch mit dem Standort der Schiedsrichter zusammen.

Generell lässt sich sagen, dass es in städtischen Gebieten noch ganz gut aussieht, aber die ländlichen Regionen uns zu schaffen machen. Das hängt sicherlich auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Immer mehr junge Menschen verlassen diese Regionen.

Eine der wichtigsten DFB-Aktionen zum Jahr des Schiedsrichters haben wir bereits im SWFV-Gebiet, in Nierstein, erlebt, als zwei Nationalspieler ein Bezirksliga-Spiel geleitet haben. Wie bewerten Sie die Aktion?

Sie war sehr interessant und sehr öffentlichkeitswirksam. Ich würde mir vergleichbare Aktionen aber auch gerne im unteren Bereich wünschen, dass Spieler und Trainer, die sehr kritisch den Schiedsrichtern gegenüberstehen, mal die Perspektive und die Seiten wechseln und merken, was alles dahintersteckt, Schiedsrichter zu sein.

Positive Rückmeldungen von den Neulingen

Von schweren Beleidigungen und Tätlichkeiten gegen Schiedsrichter ist immer wieder zu hören. Wie gehen Sie damit um?

Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn es direkt gegen einen Schiedsrichter geht, das tut uns allen weh. Aber glücklicherweise sind das Einzelfälle, die dann aber immer wieder sehr laut aufploppen.

Diese Vorfälle sind das eine, das andere sind diese kleinen Sticheleien, diese Alltagshäme, die jeder Schiedsrichter jeden Sonntag zu hören bekommt. Wie gehen Sie und Ihre Kollegen damit um?

Da sind wir sehr abgeklärt, weil wir es gar nicht anders gewohnt sind. Damit lässt es sich auch viel leichter umgehen als mit einem Gewaltfall. Nichtsdestotrotz sind diese Bemerkungen natürlich unnötig, und sie müssten nicht sein.

Was viele Interessierte nicht wissen: Der SWFV bietet ein Patensystem an. Die Neulinge werden zunächst begleitet und nicht alleine auf die Sportplätze gelassen.

Das ist richtig. Wir haben die Ausbildung vor drei Jahren um einen praktischen Teil erweitert. Das ist vergleichbar mit der Führerscheinprüfung, auf den theoretischen Teil folgt ein Teil auf dem Platz. Und dann werden die Schiedsrichter auch noch zu den ersten drei Partien von erfahrenen Kollegen begleitet. Diese Unterstützung vor Ort ist sehr wichtig.

Das heißt, Sie haben damit gute Erfahrungen gemacht?

Auf jeden Fall. Vor allem auch deshalb, weil die Vereinigungen vor Ort dann auch wissen, mit wem sie es zu tun haben und auch merken, wie viel Unterstützungsbedarf besteht, beim einen oder anderen reichen drei Spiele eben noch nicht aus. Die Abbruchquote ist seit der Einführung des Patensystems geringer, auch von den Neulingen bekommen wir eine positive Rückmeldung.

Mehr Respekt und Verständnis spüren

Markus Merk, Jochen Drees, aktuell Christian Dingert, aber auch Timo Gerach und Tom Bauer, die in diesem Jahr schon in den Bundesligen gepfiffen haben. Sind prominente Vorbilder wichtig?

Auf jeden Fall. Gerade für junge Menschen ist die Karrieremöglichkeit ein Argument, Schiedsrichter zu werden. Manche sind vielleicht als Fußballer nur wenig begabt und sehen deshalb eher eine Perspektive bei uns, zumal wir viele Schiedsrichter haben, die gleichzeitig noch spielen. Wir können ihnen die Perspektive bieten, in Klassen zu kommen, in die sie es als Spieler nicht schaffen würden. Zumal es da ja auch noch die Rolle des Assistenten gibt. Da bist du im Team unterwegs und kannst dir etwas von einem Kollegen abschauen.

Kommen wir zu Ihnen ganz persönlich. Was ist Ihre Motivation, Schiedsrichter zu sein?

Ich habe vor 22 Jahren angefangen, und das Hobby hat mir bis heute sehr viel gegeben. Die Persönlichkeitsschule, die mich auch beruflich geformt hat, habe ich schon angesprochen. Es macht mir aber auch viel Spaß, in einer Gemeinschaft aktiv zu sein. Ich habe über die Schiedsrichterei viele Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch sehr gerne sehr viel Zeit verbringe. Aktuell bereitet es mir auch viel Freude, meine Erfahrungen als Beobachter an junge Leute weiterzugeben.

Abschlussfrage: Was muss im Dezember passiert sein, damit Sie sagen, das Jahr des Schiedsrichters war ein Erfolg?

Die Schiedsrichterzahlen müssen gestiegen sein. Zudem sollte jeder einzelne Schiedsrichterkollege mehr Respekt und Verständnis für unsere Tätigkeit spüren.

Text: Olaf Paare - aus SÜDWEST FUSSBALL, Ausgabe 1/2023

Thorsten Braun