„Keiner kommt wegen mir“: Schiedsrichter Nicolas Winter

23.10.2019
Nicolas Winter

Der Hagenbacher Nicolas Winter ist Schiedsrichter – seit dieser Saison in der Zweiten Bundesliga. Schon immer hatte er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Morgen leitet er die Partie VfL Bochum gegen den Karlsruher SC.

„Ich bin nicht aus Düsseldorf“, sagt Nicolas Winter über den Eintrag in einem Sport-Onlineportal. Zwar habe er da einen Zweitwohnsitz, des Studiums wegen, aber dass sein Hauptwohnsitz weiterhin Hagenbach ist, darauf legt er Wert. Und er hat gute Gründe. „Man bekommt ein bisschen was zurück“, sagt er und erzählt davon, wie er auf der Straße mit Leuten über seine Arbeit redet. Man kennt ihn hier. „Die Stadt ist nicht zu groß“, sagt er überzeugt. Hier im südpfälzischen Hagenbach, nahe der französischen Grenze, schaut Nicolas Winter auch regelmäßig bei seinem Verein vorbei, dem SV 1920 Hagenbach. Hier hat alles begonnen.

Mit 14 Jahren wurde Winter Schiedsrichter. Da legte er seine Prüfung beim Südwestdeutschen Fußballverband in Edenkoben ab. Schon in der B-Jugend riet ihm sein Obmann Otto Rassenfoß, mit dem Fußballspielen aufzuhören – um als Schiri weiterzukommen. Denn: Anders als bei den Spielern wird ein Schiedsrichter nicht „entdeckt“. Man muss sich Liga für Liga hocharbeiten. Das geht eben besser, wenn man am Wochenende zwei Einsätze als Unparteiischer bewerkstelligen kann – einen als Schiedsrichter, einen als Assistent.

Der Tipp seines Förderers und Mentors Rassenfoß bewahrheitete sich. Bereits mit 18 Jahren kam der erste Einsatz Winters in der Landesliga. „Die Spieler waren alle älter als ich“, erzählt Winter. Man könne dabei sehr viel über sich selbst lernen. Etwa, wie man Entscheidungen trifft und wie man sie durchsetzt. Dabei müsse man immer daran denken, dass man die Vereine sehr wahrscheinlich wieder sieht – was nicht bedeutet, dass man den Teams Gefallen tun müsse. Vielmehr müsse man als Schiedsrichter verinnerlichen: „Es geht nicht um dich.“ Am Ende gehe es nur um die Fans, die erwarten, ein schönes Spiel zu sehen. „Keiner der 20.000 Besucher kommt wegen dir“, sagt der Hagenbacher. Seine Arbeit habe man als am besten gemacht, wenn nach dem Match keiner über einen spreche. Dazu gehöre auch, dass man wisse, wie Spieler in einem Zweikampf ticken.

Winters Philosophie spiegelt sich auch in der Statistik wider: Bei seinen 117 Spielen seit der Saison 2012/13 musste er nur sechs Rote Karten verteilen. Doch von Mitgefühl keine Spur. „Alles, was in den 90 Minuten passiert, ist Teil eines Spiels“, sagt Winter. Und dabei gebe es eben auch Regeln. Oft spiele auch eine „gefühlte Gerechtigkeit“ eine große Rolle. In seinem Sportbusiness-Studium setzte sich Winter viel mit Philosophie auseinander.

Dass er einen weit ausgeprägteren Sinn für Gerechtigkeit hat, bemerkte er schon früh. Etwa bei Streitereien zwischen Gleichaltrigen oder in der Familie. Der Berufswunsch „Polizist“ war auch schon mal da. „Ich sage es halt auch, wenn was ungerecht ist“, ergänzt Winter, der zugibt, dass das als Schiedsrichter vielleicht auch eine „Berufskrankheit“ ist. Genauso wie man nicht Fußball im Fernsehen schauen kann, ohne auf den Schiri zu achten.

Aber genau das nutzt er für seine Vorbereitungen auf anstehende Begegnungen. „Ich schaue mir alle möglichen Spiele an.“ Insbesondere die letzten Matches der beteiligten Teams. Wichtig dabei: Wie reagieren die einzelnen Spieler bei Standards. Das sei essenziell, um eine gewisse Ahnung zu haben, dürfe aber nicht im Vordergrund stehen. „Mein Spiel beginnt bei Null“, sagt Winter. Sportlich muss er sich auch vorbereiten: Lauftraining, Kraft, Ausdauer – denn als Schiedsrichter läuft er mehr als so mancher Spieler.

Am 14. September pfiff Winter sein erstes Spiel in der Zweiten Bundesliga: Heidenheim gegen Kiel. Winters Aufstieg. Das Trainingslager besucht er nun zusammen mit den Bundesliga-Schiedsrichtern. Dort lernt man sich kennen, kann neue Kontakte knüpfen. Und er wird auch als Video-Assistent in der Bundesliga eingesetzt. Seine Arbeit als Schiedsrichter auf dem Platz hat die Zweite Bundesliga aber kaum verändert, sagt er. Klar, seien die Spieler schneller, es passiere mehr und die mediale Aufmerksamkeit sei größer.

Aber umso mehr müsse er seinen Prinzipien treu bleiben und sich im Hintergrund halten. „Aus Respekt vor dem Spiel“, sagt er und fügt hinzu: „Mir ist es recht, wenn die Mannschaften das Wesentliche unter sich ausmachen.“

Quelle: Die Rheinpfalz, 19.10.2019, Von Timo Benß

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