Fußball begeht "17. Erinnerungstag" an Auschwitz-Befreiung

27.01.2021
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Am heutigen 27. Januar 2021 jährt sich zum 76. Mal der Tag, an dem die Überlebenden im Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit wurden. Dies ist Anlass in Demut und Respekt der Opfer, der Überlebenden und ihrer Familien zu gedenken. Dass Auschwitz "nie wieder sei", dieser Auftrag ist und bleibt Verpflichtung für alle Nachgeborenen.

 

Auch die Fußballfamilie erinnert jedes Jahr anlässlich des "Erinnerungstages im deutschen Fußball" daran, dass Menschen aus ihren Reihen von den Nationalsozialist*innen verfolgt und ermordet wurden. Neben den unterschiedlichsten Gruppen, die nicht in das menschenverachtende NS-Weltbild oder den politischen Plänen der Nazis im Wege standen, waren es vor allem Menschen jüdischer Herkunft, die in den Vernichtungslagern gequält und ermordet wurden.

 

In diesem Jahr gedenkt die Fußballfamilie besonders der Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität als "Abartige und Homosexuelle" stigmatisiert und brutal verfolgt wurden. Weit mehr als 10.000 Menschen verschleppten die Nationalsozialist*innen in die Konzentrationslager.

 

"Rosa Winkel" als sichtbares Zeichen

Der "Rosa Winkel", den sie tragen mussten, stieß sie auf die unterste Stufe der internen Lagerhierarchie. Sie wurden oftmals Opfer perverser medizinischer Versuche der Lagerärzte, denen es darum ging, das Sexualzentrum ihrer Opfer zu zerstören. Regelmäßig teilten die "Kapos" sie zu härtesten Arbeitskommandos ein. Spöttische Verachtung, von anderen Häftlingen in Gewaltexzessen gepeinigt, das war ihr Los. Über die Hälfte aller Menschen aus dieser Opfergruppe erschlug man. Man drangsalierte sie so lange, bis sie den Suizid suchten, als Rettung der eigenen Würde und als selbstbestimmtes Beenden ihres unermesslichen Leidens.

 

"Totgeschlagen, totgeschwiegen" - mit diesen beiden Worten erinnern heute winkelförmige Gedenktafeln an verschiedenen Orten in Deutschland an das Schicksal von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten. Für sie endete ihr Leiden nicht mit der Befreiung am 8. Mai 1945. Von weiten Teilen der deutschen Nachkriegsgesellschaft wurden sie weiterhin stigmatisiert und ausgegrenzt. Sie erhielten erst ausnahmslos keine und in den Folgejahren beschämend geringe "Wiedergutmachungsleistungen". Sie wurden als Opfer nicht anerkannt.

 

Diese Ungerechtigkeit begründeten der deutsche Staat und seine Justiz mit dem von den Nationalsozialist*innen verschärften Paragraphen 175 StGB. (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung). Bis 1969 verurteilte man die Überlebenden mit dem "Rosa Winkel" aufgrund dieses Paragraphen. Gestrichen wurde er erst 1994. Erst 2002 hob der Bundestag alle NS-Urteile nach Paragraph 175 auf, 57 Jahre nach dem Befreiungstag.

 

Schmähungen aus der Kurve: "Schiri, du schwule Sau"

Es gehört zu den unumstößlich Menschenrechten, die eigene sexuelle und geschlechtliche Identität frei leben zu können. Dennoch stößt diese Selbstverständlichkeit auch in Teams, Stadien und Kurven immer noch auf Widerstände bei Spieler*innen, Trainer*innen, Funktionär*innen und Zuschauer*innen. Deutsche Nationalspieler rieten ihren männlichen Kollegen davon ab, sich zu outen. Vereine waren gegen das Aufhängen von Regenbogenfahnen, die Signatur der LGBTIQ+-Bewegung. Und sind Schmähungen wie "Schiri, du schwule Sau" wirklich aus den Kurven verschwunden?

 

In dieser homosexuellenfeindlichen Gemengelage sind Fußballpersönlichkeiten wie Marcus Urban, Thomas Hitzlsperger und wenige andere, die ihr Queersein offen kommunizierten, beispielgebende Persönlichkeiten für den Sport und die Zivilgesellschaft. Sie haben mit den Queer-Fanklubs dazu beigetragen, dass sexuelle Vielfalt zunehmend enttabuisiert und ein wertschätzender Dialog möglich wurde. Und sie haben sich um die Humanisierung der Fußballfamilie und der Gesellschaft verdient gemacht.

 

"Erziehung nach Auschwitz" ist Erziehung zur Menschlichkeit

Die Selbstverständlichkeit, die sexuelle und geschlechtliche Identität als ein unabdingbares Menschenrecht zu leben und den Dialog darüber im Fußball zu vertiefen und zu verstetigen, auch das bedeutet "Erziehung nach Auschwitz". Diese Lektion ist immer wieder neu zu lernen. Es ist die Botschaft der Überlebenden der Konzentrationslager zum "17. Erinnerungstag im deutschen Fußball" an den Spieltagen um den heutigen 27. Januar 2021.

 

Das respektvolle Gedenken an die Menschen, die in ihrer Seele verletzt, die gequält und ermordet wurden, ist jedoch nur dann glaubwürdig, wenn die Fußballfamilie mit klugen, kreativen und empathischen Aktionen den daraus zwingend notwendigen gesellschaftlichen Emanzipationsprozess vorantreibt. Das "Spiel aller Spiele" öffnet mit seiner ihm innewohnenden friedensfördernden Kraft auch hier den Horizont.

 

Die Vision: Die 17. Kampagne des "Erinnerungstages im deutschen Fußball" trägt die Farben des Regenbogens.

  • Sucht den Kontakt zu queeren Fußballklubs oder den Queer Football Fanklubs! Der QFF  ist ein Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fußballfanklubs, das zur Weltmeisterschaft 2006 gegründet wurde.
  • Widersprecht auf dem Platz, in den Kabinen, in den Kurven, in den Bussen, in den Zügen, in den U- + S-Bahnen, in den Kneipen, wenn LGBTIQ+-Menschen geschmäht werden! Seid bereit, ihnen zur Hilfe zu kommen!
  • Der 17. Erinnerungstag unter Corona-Bedingungen wird mit seinen Einmischungen und bunten Aktionen in den Vereinen, in den Fanszenen, den Fanprojekten und an Orten, die vom Fußball weit entfernt sind, seine kreative Dynamik entfalten. Zusammen mit den "Regenbogen-Freund*innen" soll das gelingen. Auch die leeren Stadien werden in den Farben des Regenbogens erblühen.

Der vorliegende Aufruf wurde verfasst von der Initiative "!Nie wieder - Erinnerungstag im deutschen Fußball". Das Netzwerk aus Fangruppen, Fanprojekten, antirassistischen Bündnissen, Amateur- und Profivereinen, der DFL und des DFB, sowie zahlreichen Personen und Institutionen aus der Zivilgesellschaft organisiert seit 17 Jahren den "Erinnerungstag im deutschen Fußball", an den Spieltagen um den 27. Januar. Kernpunkte der Kampagne sind das mitfühlende Erinnern an das unendliche Leid, das Millionen Menschen in der NS-Zeit erfahren mussten, mit besonderen Blick auf die preisgegebenen Mitglieder der Fußballfamilie, sowie die unbedingte Forderung, alles heute zu tun, "dass Auschwitz nie mehr sein".

 

Darüber hinaus versteht sich die Kampagne als historischer und politischer Lern- und Aktionsort, wo sich Menschen, die den Fußball lieben, generationsübergreifend mit klugen und kreativen Aktionen im Stadion und in der Zivilgesellschaft für ein demokratisches, den Menschenrechten verpflichtetes Gemeinwesen engagieren.