„Bedrückend und zugleich spannend“ - Interview mit Dr. Hans-Dieter Drewitz

10.08.2020
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Dr. Hans-Dieter Drewitz

In unserer neusten Ausgabe unseres Verbandsmagazines SÜDWEST FUSSBALL interviewt Olaf Paare (Vorsitzender des Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit) unseren Präsidenten Dr. Hans-Dieter Drewitz zur aktuellen Situation im Südwesten.

 

Herr Dr. Drewitz, die Absage der alten Saison und die Verschiebung des Verbandstags sind nur zwei Beispiele dafür, dass das Coronavirus die Fußballwelt auf den Kopf gestellt hat. Wie blicken Sie auf die vergangenen Monate zurück?

Nach Ausbruch der Pandemie war meine Gefühlslage bedrückend. Ich empfand die Situation aber zugleich auch als unheimlich spannend. Schließlich waren wir als Fußballverband in Bereichen gefordert, die wir so nicht kannten. Es haben sich völlig neue Herausforderungen für alle ergeben. Wir waren nicht mehr für die Dinge auf dem Fußballplatz verantwortlich, sondern mussten dafür sorgen, dass die Fußballer wieder auf den Platz kommen. Mittlerweile sehe ich einen Lichtstreif am Horizont und spüre große Erleichterung, dass es wieder um den Fußball geht, Spielpläne erstellt werden. Zugleich haben wir aber auch alle eine große Verantwortung, um möglichen Schaden vom Fußball abzuhalten.

 

Wie bewerten Sie mit etwas Abstand den Prozess, der zum Abbruch der Saison 2019/20 geführt hat?

Zunächst ist es mir wichtig festzustellen, dass sich alle, Vereine und Verband, auf Neuland bewegt haben. In der ersten Phase haben wir die interessante Erkenntnis gewonnen, dass für die Vereine entscheidender war, die Runde innerhalb eines Spieljahres abzuschließen, als eine sportliche Entscheidung über das Spieljahr hinaus herbeizuführen. Das war für uns eine wichtige Erfahrung, die wir aufgenommen haben. Deshalb waren wir gut beraten, das Ziel einer Fortsetzung der Runde aufzugeben und im Sinne der Vereine den Weg einer vorzeitigen Beendigung zu gehen. Im Nachhinein klar die richtige Entscheidung.

 

Gilt das auch für das Verschieben des Verbandstags um ein Jahr?

Auch hier ein klares Ja. Ein ordentlicher Verbandstag macht nur Sinn, wenn er als Präsenz-Verbandstag abgehalten werden kann. Online-Verbandstage sind immer mit großen Einschränkungen verbunden. Es ist auch wenig sinnvoll, einen ordentlichen Verbandstag mitten in solch bewegten Zeiten abzuhalten. Wir haben lieber unsere Energie zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie benötigt, anstelle sich mit uns selbst zu beschäftigen. Für diese Lösung haben wir von den Vereinen bei der Mitgliederbefragung eine überwältigende Mehrheit erfahren.

 

Wird sich der Amateurfußball nach Corona verändern?

Ich bin kein Freund solcher „epochaler“ Fragen. Das Coronavirus hat gezeigt, wie fragil unsere Zivilisation ist. Was für uns alle selbstverständlich war und schien, ist es nicht mehr, sondern wurde infrage gestellt. Jetzt sind wir darauf fokussiert, die Runde 2020/2021 zu beginnen und möglichst auch wie geplant sportlich zum Abschluss zu bringen.

 

Dialog genießt oberste Priorität

 

Viele Vereine haben bei der Diskussion über den Start der neuen Saison mehr Mitspracherecht eingefordert. Speziell die Verbandsligisten. Wie stehen Sie dazu?

Ein Dialog Verband/Verein und Verein/Verband ist sicher unverzichtbar und genießt oberste Priorität. Deshalb haben wir die zahlreichen Meldungen der Vereine auch aufgenommen. Im Regionalverband haben wir zu dem Thema eine Task Force gebildet und mit den Vereinen an wichtigen Stellschrauben gedreht. Die Diskussion von der Verbandsliga an abwärts habe ich so verstanden, dass die Vereine möglichst viele Spiele bestreiten wollen. Zum einen aus sportlichen Gründen, zum anderen aber auch aufgrund des wirtschaftlichen Hintergrunds. Denn über die Heimspiele wird das notwenige Geld eingespielt. Unser Verbandsspielausschuss hat sich inzwischen nochmals umfassend mit der Sache befasst und ein Modell entwickelt, das modulartig die Klassen zweiteilt, in Hin- und Rückspiel spielt und zusätzlich eine eigene Auf- und Abstiegsrunde anbietet. Das entspricht dem Modell unserer Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar und es schafft zugleich die notwendige Flexibilität auf zwischenzeitliche Pandemie-bedingte Unterbrechungen oder gar einen Abbruch der Runde zu reagieren. Eine Wiederholung der Beendigung einer Spielzeit wie die 2019/2020 darf es keinesfalls geben.

 

Seit dem 15. Juli sind Fußballspiele offiziell wieder erlaubt. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?

Wir standen die letzten Wochen ständig in Kontakt mit den politische Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz. Ich freue mich sehr, dass unsere Gründe für eine Ermöglichung des Spielbetriebes aufgegriffen wurden und ich füge hinzu: Ich bin den Politikern in Mainz sehr dankbar, dass wir nun rechtzeitig ein Signal an unsere Vereine senden können, damit diese mit der nötigen Vorlaufzeit wieder loslegen dürfen.

 

Haben Sie einen Tipp für die Vereine?

Juristisch ist der Fußball wieder erlaubt, aber ein wichtiger Baustein zur Wiederaufnahme des erweiterten Trainings- und Spielbetriebs ist das Hygienekonzept, das jeder Verein vorweisen und umsetzen muss. Ich kann den Vereinen deshalb nur raten, sich diesbezüglich auch mit ihren Ordnungsämtern in Verbindung zu setzen. Vor allem dann, wenn Zuschauer wieder dabei sein sollen. 350 sind ja jetzt erlaubt, darüber bin ich sehr froh. Aber jede Sportanlage ist anders, auf jeder müssen die 350 Zuschauer anders untergebracht werden.

 

Wie haben Sie den Re-Start der drei deutschen Profiligen wahrgenommen?

Ich respektiere alle gesellschaftspolitischen Ansichten hierzu und akzeptiere auch Kritik an dem Vorgehen der Bundesliga. Als Fußballer aber habe ich mich sehr darüber gefreut, weil so unser Sport in der Öffentlichkeit sichtbar geblieben ist. Nehmen Sie die Kinder, die ihre Stars wieder haben spielen sehen. Ohne diese Spiele hätten sie sich vielleicht vom Fußball abgewendet. Zudem hatten die Spiele aus wirtschaftlicher Sicht eine große Bedeutung, nicht nur für die Ligavereine. Da hängt ja auch, Stichwort Grundlagenvertrag, einiges für den Amateurfußball von ab. Dem Fußball insgesamt haben die drei Profiligen aus meiner Sicht deshalb einen großen Dienst erwiesen.

 

Gut gewirtschaftet und krisenfest

 

Der wirtschaftliche Bereich ist schon mehrfach angeklungen. Müssen sich die Vereine in dieser Beziehung Gedanken um ihren SWFV machen?

Es ist zunächst einmal schön und eine Wertschätzung, wenn man sich auch Gedanken um den SWFV macht. Umgekehrt hören wir deshalb ja auch immer wieder in die Vereine hinein. Für den SWFV kann ich sagen: Wir haben in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und sind daher krisenfest. Trotzdem sind uns Einnahmen weggebrochen, wir haben Federn gelassen und müssen Dellen verkraften. Über das wirtschaftliche Überleben des SWFV muss sich aber derzeit keiner Gedanken machen. Allerdings: Mehrere solcher Pandemie-Wellen sollten nicht über uns hereinbrechen.

 

Kommen wir zum Sportlichen: Die Männer des TSV Schott Mainz und die Frauen des FFC Niederkirchen sind die Gewinner der Vorsaison und vertreten uns wieder überregional.

Das freut mich in beiden Fällen sehr. Schott Mainz kehrt ja wie bekannt in die Oberliga zurück. Der Aufstieg des FFC Niederkirchen ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, exakt im Jubiläumsjahr 50 Jahre Frauenfußball wieder aufzusteigen. Ich wünsche Anja Marx und ihrer Truppe, dass sie eine gute Rolle in der Zweiten Bundesliga spielen. Für uns als Verband wie auch seinem Frauenfußball ist das eine tolle Geschichte.

 

Sie haben das Jubiläum der Frauen angesprochen. Bedauern Sie, dass das Thema in Corona-Zeiten etwas untergeht?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Unsere Fußballerinnen sind ein solcher Dauerbrenner, die feiern nicht nur ein Jahr, sondern wir werden das auch ins nächste Jahr strecken. Highlights wird es aber auch trotz Corona geben. Ich darf schon jetzt ankündigen, dass wir am 30. August eine Ausstellung im Museum in Alzey zu diesem Thema eröffnen werden. Diese Ausstellung werde ich gemeinsam mit unserer „Ikone des Frauenfußballs“ Bärbel Petzold eröffnen. Außerdem werden wir im nächsten Jahr den Verbandstag nutzen, um einen Akzent für den Frauenfußball zu setzen.

 

Apropos Dauerbrenner: Mainz 05 ist längst in der Bundesliga etabliert.

Auch darüber freue ich mich riesig. Zumal es da ja viele Verknüpfungen gibt, beispielsweise im Jugendbereich zu Volker Kersting und seinem Team. Für unseren Verband ist es sportlich und auch wirtschaftlich sehr wichtig, in Mainz 05 einen stabilen Bundesligisten zu haben. Darüber hinaus sind die 05er ein treuer Partner des Amateurfußballs, beispielsweise wenn es gilt, gemeinsame Events im Rahmen von Heimspielen zu planen.

 

Das andere Aushängeschild, der 1. FC Kaiserslautern, befindet sich in einem Insolvenzverfahren. Kann der Verband da helfen?

Wir können da nur ideell zur Seite stehen. Schließlich muss der SWFV selbst sein Schiffchen in stürmischen Zeiten auf Kurs halten. Der FCK hat Geschichte geschrieben, in diesem Jahr gedenken wir dem 100. Geburtstag von Fritz Walter. Da bleibt es zu hoffen, dass es wirtschaftlich endlich wieder aufwärts geht. Alles andere wäre für eine ganze Region und nicht zuletzt auch für unseren Verband sehr schlecht.

 

Bei Vorhersagen äußerst vorsichtig

 

Wo steht der SWFV in einem Jahr?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass man gut beraten ist, bei Vorhersagen äußerst vorsichtig zu sein. Vor einem Jahr jedenfalls hätte keiner die Entwicklung der vergangenen Monate prognostiziert. Deshalb bin ich vorsichtiger: Ich setze mich dafür ein, dass wir im nächsten Jahr unsere Saison 2020/2021 sportlich abschließen können, verbunden mit der Hoffnung, dass dies ohne Pandemie-bedingte Unterbrechungen geschieht. Ich setze mich dafür ein, dass wir weiterhin seitens des SWFV unsere Angebote in Qualifizierung, im sozialen Bereich, für Integration und Inklusion machen können und meine große Hoffnung ist, dass allen Vereinen nicht nur ein sportliches, sondern auch ein wirtschaftliches Überleben beschert sein wird.

 

Vor Corona war der SWFV bemüht, den Vereinen mehr als ein 1:0 zu bieten. Geht es nun darum, das 1:0 auf dem Platz abzusichern?

Vollkommen richtig. Kerngeschäft heißt Kerngeschäft, weil sich eben alles um den Kern dreht, in unserem Fall um den Fußball. Wir sollten aber die sozialen Verpflichtungen nicht vernachlässigen. Ich war unlängst trotz Corona bei der Ehrung unseres Ehrenamtspreisträgers Wolfgang Röske, Vorsitzender des VfL Algenrodt. Solche Personen und solche Vereine sind unser Fundament, auf dem unser Fußball steht.